Artikel für die Chorzeit The Single Singers

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Bei den Single Singers, einem internationalen Projektchor, tun sich Singbegeisterte auf Europas A-cappella-Festivals zusammen

„Immer, wenn ich alleine zu A-cappella-Festivals fuhr, hatte ich gemischte Gefühle: Natürlich freute ich mich sehr auf die Konzerte und Workshops. Aber eigentlich wollte ich selbst auf der Bühne stehen. Ich wollte singen – nicht nur zuhören!“ Mit diesen Gedanken stand die Niederländerin Emily May’t Hoen 2011 nicht alleine da. Und so gründete sie im Januar 2012 zusammen mit ihrer Chorkollegin Annemarie Homan anlässlich des London A Cappella Festivals die Single Singers.

Ihre Idee war es, allein reisenden FestivalbesucherInnen die Möglichkeit zu einem gemeinsamen Chorauftritt im Rahmen des Festivals zu bieten. Der Name «Single Singers» («einzel- ne Sänger») ist natürlich angelehnt an die legendären Swingle Singers, die auch Veranstalter des London A Cappella Festivals sind.

Emily ist im beruflichen Leben Pressesprecherin einer Hilfsorganisation und Annemarie arbeitet als Online-Redakteurin eines Chorverbands – also veröffentlichten die beiden ihre Idee im Internet, auf Facebook und Twitter. Von dort ausgehend entwickelte das Konzept eine erstaunliche Eigendynamik: «Es meldeten sich 24 begeisterte Sängerinnen und Sänger aus der ganzen Welt, die in London dabei sein wollten », erzählt Annemarie Homan – und damit waren die Single Singers geboren.

Doch wie funktioniert die Umsetzung dieser simplen Idee in der Praxis? Wie ist es, ein Single Singer zu sein? Wie koordiniert sich dieses internationale Treffen? Beim diesjährigen Aarhus Vocal Festival in Dänemark (AAVF) hatte ich bereits ein zweites Mal die Möglichkeit, Teil der Single Singers zu sein.

Das erste – wenn auch virtuelle – Zusammentreffen aller Single Singers für Aarhus fand auf Facebook statt, wo sich 30 Sängerinnen und Sänger in einer eigens angelegten Gruppe versammelten. Diese Gruppe bot uns als Teilnehmenden die Möglichkeit, uns einander vorzustellen und kennenzulernen und – vor allem – uns gemeinsam auf das anstehende Projekt zu freuen. Alles stand unter dem Motto «three songs, two rehearsals, one concert! » («drei Lieder, zwei Proben, ein Konzert»). Allerdings hatten Annemarie und Emily diesmal gleich vier anspruchsvolle Chorarrangements ausgewählt:

Mit «Ticket To Ride» war ein Beatles-Klassiker in der Version der Swingle Singers dabei. Clare Wheeler, Altistin der englischen Gruppe, unterstützte uns vor Ort bei der Probenarbeit. Zudem stand «If Youʼre Out There» von R&B-Sänger John Legend auf dem Programm, arrangiert von Merel Martens, der Gründerin und Leiterin der Den Haager Gruppe Pitch Control und Vocal Coach von The Junction, dem Sieger des diesjährigen AAVF. Außerdem sangen wir «Bottom» von der belgischen Weltmusik- Truppe Zap Mama – beim AAVF 2015 mit einem Konzert vertreten – und «No One» von der Soul-Sängerin Alicia Keys, arrangiert von Morten Kjaer, dem umtriebigen Vocal Coach und langjährigen Mitglied von Vocal Line.

Die Noten und Übedateien wurden uns online zur Verfügung gestellt, sodass jeder die Stücke zu Hause vorbereiten konnte – angesichts von «two rehearsals» natürlich unumgänglich.

Es ist ein tolles Gefühl: In ganz Europa beschäftigen sich gerade die unterschiedlichsten Menschen mit demselben Notenmaterial, mit derselben Musik – jeder für sich und trotzdem schon miteinander verbunden, als Teil eines Prozesses, der an vielen ganz unterschiedlichen Orten zu entstehen beginnt.

Die Zeit verging, das Festival rückte näher und überraschend plötzlich war es soweit: Wir trafen uns zum realen Kennenlernen und gemeinsamen Musizieren, zur ersten Probe der Single Singers Aarhus 2015. Die europäische A-cappella-Szene ist überschaubar. Viele der rund 750 FestivalteilnehmerInnen, Workshopund KonzertbesucherInnen kennen einander. Man trifft sich immer wieder auf den verschiedenen Festivals des Kontinents und freut sich, Teil der A-cappella-Familie zu sein.

Doch erfreulicherweise trifft man auch immer wieder auf neue Gesichter – so auch in Aarhus: Zwar haben die meisten von uns schon Single- Singers-Erfahrungen bei dem einen oder anderen Festival der vergangenen Jahre gesammelt, aber in dieser Besetzung gab es – jedenfalls für mich – wieder einige erste Begegnungen. Im Verlauf der ersten Probe zeigt sich, wie gut das Konzept der individuellen Vorbereitung funktioniert: Alle Single Singers haben sich das Repertoire so weit zu Eigen gemacht, dass wir sehr schnell mit der musikalischen Feinarbeit beginnen können. Die Single Singers proben grundsätzlich ohne ChorleiterIn – das ist Teil der Ursprungsidee. Da sich aber unter den Teilnehmenden immer wieder auch ChorleiterInnen befinden, die phasenweise die Leitung in die Hand nehmen, ist die Probenarbeit ein interessanter Prozess zwischen geführtem und freiem Erarbeiten der Stücke.

Das Projekt Single Singers verbindet die Sängerinnen und Sänger über die gesamte Dauer des Festivals. Im Unterschied zu den Teilnehmenden der vielen anderen Workshops sind wir eine feste Gruppe, die sich täglich trifft und zusammen arbeitet. Die gemeinsame Vorbereitung und der Blick auf den abschließenden Auftritt schweißt die 30 Individuen zusammen.

Das Konzert selbst findet dann im Rahmen der Festival- Abschlussveranstaltung statt, moderiert von Jens Johansen, dem Leiter des legendären dänischen Popchors Vocal Line. Auch bei den Festivals zuvor war der Auftritt der Single Singers immer prominent platziert, zum Beispiel als Vorgruppe der Swingle Singers, von Vocal Line oder Rajaton.

Natürlich ist es ein überwältigendes Gefühl, nach vier gemeinsam verbrachten Festivaltagen als Teil der Single Singers auf der Bühne zu stehen. Aber auch Wochen nach dem Festival habe ich noch viele positive Erinnerungen: an Begegnungen mit Menschen, die ich anderenfalls kaum kennengelernt hätte, an Songs und Arrangements, die ich sonst nie gesungen hätte, und an viele kostbare Augenblicke, die ohne das Erlebnis «Single Singers» undenkbar wären.

Die Begeisterung der bisherigen TeilnehmerInnen hat sich schnell über das Internet verbreitet: Florian Städtler, Gründer des Vocal Blogs auf Acappellazone, bezeichnet die Idee der Single Singers als «… wundervolles nicht-kommerzielles Tu’s-einfach-und-habe- Spaß-Kunstwerk.» Der Facebookseite der Single Singers haben sich derweil rund 480 Interessierte angeschlossen. Das Projekt konnte sich bereits bei fünf europäischen Festivals etablieren (mehrfach in London und Aarhus, je einmal in Stockholm, Hamburg und Fossano). Die Idee der beiden Initiatorinnen schaffte sogar den Sprung über den großen Teich zu amerikanischen A-cappella-Festivals. Organisiert wer- den die Single Singers dort von der amerikanischen Musikerin Judy Fontana, die in diesem Jahr auch selbst zu Gast beim Aarhus Vocal Festival war.

Immer wieder ist zu beobachten, dass sich auch einzelne Stars der Szene unter die Single Singers mischen, wie zum Beispiel Jes Sadler (Ex-Swingle Singer und The Magnets-Mitglied), Tor Martin Antonsen (von den norwegischen Apes & Babes) oder – wie in diesem Jahr – Hans Cassa (der Kopf der niederländischen Gruppe Montezumas Revenge) und Bill Hare (mit Grammys ausgezeichneter A-cappella-Produzent aus den USA). Aber beim gemeinsamen Musizieren der Single Singers dreht es sich gerade nicht darum, dass die Stars von einem fassungslosen Publikum bejubelt werden, sondern darum, in die ganz spezielle Festivalbegeisterung einbezogen zu sein – ob als Laie oder Profi .

Annemarie Homan und Emily May’t Hoen sind die führenden Kräfte hinter diesem unglaublichen internationalen Projekt: In sorgsam geplanter Spontaneität bestreitet ein Kollektiv von einzelnen Sängerinnen und Sängern ein Konzert – das Publikum erobert die Bühne! Die Einbindung der Single Singers in die unterschiedlichen Festivals ist eine grandiose organisatorische Leistung. Im Frühjahr 2016, beim London A Cappella Festival, feiern die Gründerinnen den fünften Geburtstag der Single Singers.

Inzwischen hat sich aus der Idee der beiden Niederländerinnen eine ganz eigene, kleine A-cappella-Gemeinde entwickelt. Rund 40 enthusiastische Sängerinnen und Sänger kommen auf einem Festival zusammen – manche begegnen sich dort zum wiederholten Mal, andere stoßen neu dazu – und bilden einen bunt gemischten internationalen Projektchor, der längst Kultstatus erreicht hat. Dabei ist der Gedanke dahinter so alt wie einfach: Gemeinsames Singen macht glücklich!

www.thesinglesingers.com

Artikel von Nina Ruckhaber für die Chorzeit, Ausgabe 10/2015