Finale "Der Beste Chor im Westen" 2019 „Eine Ausdehnung auf das ganze Bundesgebiet wäre wünschenswert.“

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Interview mit Jan-Hendrik Herrmann und Anne Leudts

Die vierte Staffel der TV-Show „Der beste Chor im Westen“ nimmt ihr Ende. Am 13.12.2019 treten im WDR fünf Chöre live im Finale gegeneinander an. Ich durfte selbst bei den Dreharbeiten der ersten beiden Vorentscheide in Essen als Pressevertreterin mit vor Ort sein und bin dort dem Dirigenten Jan-Hendrik Herrmann sowie der WDR-Redakteurin Anne Leudts begegnet.

Lieber Jan, 2017 hast du mit dem Jazzchor der Uni Bonn selbst an „Der beste Chor im Westen“ teilgenommen und den 2. Platz belegt. Nun habe ich dich bei den Aufzeichnungen der aktuellen Staffel hinter der Kamera erlebt. In welcher Funktion bist du für die Sendung aktuell tätig?
Ich bin seit der letzten Staffel in 2018 als musikalischer Berater und Coach für die Chöre tätig. Zu meinen Aufgaben gehört u.a., die Chöre bei den notwendigen Kürzungen der Arrangements und bei Fragen rund um Instrumentalbegleitungen und Präsentation zu beraten, sie zu coachen und ihnen Tipps und Ratschläge für den Wettbewerb mit auf den Weg zu geben. Vor Ort bin ich außerdem bei den Proben dabei, um Ihre Wünsche und Bedürfnisse an die Kollegen*Innen von Ton und Bild zu kommunizieren, um möglichst gute Bedingungen für sie zu schaffen.

Zeche Zollverein Essen

Liebe Frau Leudts, Sie waren maßgeblich an der Entwicklung von „Der beste Chor im Westen“ beteiligt. Wie kam es damals zur Idee der Sendung?
Zur Idee kam es, weil ich erstens selber seit vielen Jahren im Chor singe ;-)), weil ich beobachtet hatte, dass es immer mehr Mitsing-Events gibt und weil ich wusste, wie viele unterschiedliche und sehr tolle Chöre es in NRW gibt.

Jan, du hattest also die Möglichkeit, mit allen Chören vor der Show zu arbeiten. Wie hast du diese Treffen mit den Chören wahrgenommen? Was bedeutet diese TV-Sendung für die Chöre?
Die Treffen mit den Chören sind immer sehr spannend und äußerst unterschiedlich. Alle Chöre sind bei den Coachings sehr aufgeschlossen, neugierig und schätzen den unvoreingenommenen Blick von Außen auf ihre Stücke. Natürlich sind die Vorerfahrungen mit Wettbewerben ganz unterschiedlich. Einige Chöre haben schon an größeren Wettbewerben teilgenommen und sind vertrauter mit Abläufen und Fragen der spezifischen Vorbereitung, andere sind zum Teil frisch gegründet und präsentieren sich zum ersten Mal in einem Wettbewerbskontext. Ich freue mich jedes Mal, diese Vielzahl der verschiedenen Chorkonzepte zu sehen und zu erleben. Lehrer-, Männer-, Frauen-, Projekt-, Schul-, Wohnzimmerchor, Vokalensembles, die durch Freundschaften zusammengefunden haben, Chöre, die den professionellen Opern- und Theaterbetrieb gewohnt sind – sie alle haben ein ganz eigenes Profil und eine ganz eigene Persönlichkeit. Meine Aufgabe ist es, diese Chorpersönlichkeit einzuschätzen und vor diesem Hintergrund angemessene Tipps zu geben, wie sie sich – ausgehend von dem Punkt, an dem sie gerade stehen – weiterentwickeln und wachsen können. Das besondere Format der Sendung ist dabei für alle neu. Erfahrungswerte mitzuteilen und auf die Fernseh- und Voting-Erfahrung vorzubereiten, gehört ebenso zu meinen Aufgaben, wie die musikalische Vorbereitung. Für die Chöre ist es sehr reizvoll, sich im Fernsehformat zu präsentieren und auf sich aufmerksam zu machen. Einem Teilnehmerchor wird eine riesige Aufmerksamkeit entgegengebracht, die sich noch weit nach der Staffel bemerkbar macht. Nicht nur Facebook-Likes und youtube-Klicks steigern sich, die Besucherzahl der Konzerte schnellt ebenfalls in die Höhe. Diese Aufmerksamkeit kann sehr bestärken und motivieren. Dieses Erschließen von neuem Interesse und Publikum sowie der Austausch und der Kontakt zu den anderen Chören ist meiner Meinung nach das große Potential des Formates. Und dafür muss man nicht mal der beste Chor im Westen werden.

Zeche Zollverein Essen

Wie hat sich die Show seit 2016 entwickelt?
Anne Leudts: In der ersten und zweiten Staffel haben wir die Chöre ja noch in Regionen aufgeteilt und sie quasi „gegeneinander“ antreten lassen. Das haben wir dann auch aufgrund der Produktionsbedingungen etwas verändert. Wir feilen eigentlich an jeder Staffel und versuchen, das Beste für das Format herauszuarbeiten. Es ist immer wieder ein Abenteuer, welche Chöre sich bewerben. Manche haben durchaus auch Angst, weil sie denken, dass sie den Anforderungen nicht genügen. Aber wir sehen immer wieder, wie großartig sich die Chöre in solch einer Staffel entwickeln. Da wird offenbar ihr Ehrgeiz entfacht und geprobt bis die Stimme heiser ist. Großartig. Wir freuen uns immer wahnsinnig über das Engagement und die Leidenschaft dieser vielen Sängerinnen und Sänger.

Angenommen, die Sendung wird auch 2020 fortgesetzt. Was würdest du dir für die Zukunft wünschen – für NRW und die gesamte dt. TV-Szene?
Jan-Hendrik Herrmann: Das Format wird vom Publikum und von der Chorszene einerseits geschätzt und andererseits stark kritisiert. Die Meinungen sind sehr gespalten. Ich kann – nachdem ich beide Seiten der Produktion miterleben durfte – beide Argumentationsseiten gut nachvollziehen. Ich schätze die Plattform, die die Sendung den Chören bietet, sehr – zumal dieses Format einzigartig ist. Der Erfolg zeigt uns, dass hier das Interesse eines großen Publikums bedient wird. Meiner Meinung nach ist die Sendung allerdings im Spannungsfeld zwischen dem Anspruch, eine Unterhaltungssendung zu sein (die dementsprechend publikumswirksam inszeniert werden muss) und dem Anspruch, ein ernsthafter Wettbewerb zu sein, gefangen. Dadurch ist sie beides konsequent nicht. Diese beiden Pole sind nicht wirklich miteinander übereinzubringen. Man merkt an der Kritik, von welchem Anspruch ausgehend das Format konsumiert und kritisiert wird. Da wird viel spekuliert und interpretiert, ohne die wahren Gegebenheiten und die Ausrichtung zu betrachten und zu bedenken. Es ist kein Wettbewerb, der mit den professionellen großen Chorwettbewerben gleichzusetzen ist! Da fehlt ganz klar die Seriosität. Es ist aber ebensowenig eine reine Unterhaltungsshow, der die teilnehmenden Chöre egal sind, solange nur die Quote stimmt! Dieses Spannungsfeld treibt uns in der Produktion dauernd um und wir versuchen, einen Kompromiss zu finden. Auf viele Aspekte und Fragen habe ich selbst noch keine zufriedenstellende Antwort gefunden. Im Prinzip werden durch die große Vielzahl unterschiedlicher Chorkonzepte hier Äpfel mit Birnen verglichen, sodass als einziges entscheidendes Kriterium am Ende der subjektive Geschmack übrig bleiben muss (und was könnte als letzte Instanz dieses Geschmacks konsequenter sein, als ein Zuschauer-Voting?). Das kann auch eine Fachjury nicht kompensieren. Aus diesem Grund gibt es normalerweise die Kategorien in Chorwettbewerben. Gleichzeitig wäre ein Fernsehformat, in dem ausschließlich Chöre derselben Kategorie teilnehmen (womöglich noch mit demselben Pflichtstück) aus Zuschauersicht nicht sonderlich interessant. Damit ginge diese Plattform, die über die sehr spezielle Szene hinausreicht, flöten.

Fans von Cantiamo Aachen

Kein Wettbewerbsmodell, das mir bekannt ist, wertschätzt die soziale Funktion, die ein Chor erfüllen kann. Es geht meist nur um die musikalische Leistung – wie soll es auch anders in einem Wettbewerb gehen(?). Ist der Spielraum hier auch sehr gering, klingt es zumindest an, dass bei einigen Chören nicht die Leistung im Mittelpunkt steht, sondern das Miteinander. Es freut mich jedes Mal ungemein, wenn diese Chöre hier eine Plattform bekommen – und mich ehrlich gesagt oft mehr rühren, als die Darbietungen der besseren Chöre. Vielleicht gibt es Möglichkeiten, diesen Blickpunkt etwas auszubauen und die Chöre mehr vor ihrem speziellen Hintergrund zu sehen, als sie nüchtern nach Leistung zu beurteilen? Denn das schafft dieses Format ohnehin nicht. Die Portrait-Filme, durch die die Chöre vorgestellt werden, haben doch ausschließlich diesen Zweck: Den Blick auf die Besonderheit und die Persönlichkeit jedes Chores zu lenken. Die Jury blendet das in ihrer Beurteilung leider häufig komplett aus.
Eine Sendung ist schwieriger konzeptuell zu verändern, je etablierter und erfolgreicher sie ist (der Titel der Sendung ist das Paradebeispiel). Ich fände trotzdem eine stärkere Ausrichtung an den musikalischen Aspekten toll, ohne dass der Showaspekt dem geopfert werden müsste.
Wünschenswert wären beispielsweise eine längere Singzeit für die Chöre, eine freiere Auswahl der Stücke bzw. unter größerer Einbeziehung von musikalischen Aspekten, akustisch geeignetere Hallen für die Vorentscheide, eine optimierte Klangabnahme bei den Shows und damit einhergehend ein optimiertes Monitoring-Konzept. Es gibt Rahmenbedingungen an denen nicht zu rütteln ist, aber dennoch ist in dieser Hinsicht innerhalb des Handlungsspielraumes schon einiges in den letzten beiden Staffeln umgesetzt und verbessert worden. Ich sehe aber in einigen Punkten weiterhin dringenden Handlungsbedarf. Ich denke, dass das Publikum ebenso gefragt ist, konstruktive Vorschläge zu machen und Feedback zu geben. Je mehr Feedback und realistische Verbesserungsvorschläge wir bekommen, desto besser kann das Format gestaltet und verändert werden.
Mein Wunsch wäre außerdem, eine noch größere stilistische Bandbreite in der Sendung abzubilden. Es gibt so fantastische Chöre jeder Stilistik in NRW! Die Show kann leider nur den recht begrenzten Ausschnitt derer zeigen, die sich bewerben. Da ist die Initiative der Chöre gefragt! Auch wenn die Vergangenheit gezeigt hat, dass nicht unbedingt die besten Chöre den Titel holen, kann ich sagen, dass es trotzdem einiges zu gewinnen gibt!
Ob es dem Format und den Chören hilft, wenn weitere Sendeanstalten das Konzept mit allen Stärken und Schwächen übernehmen, halte ich für fragwürdig. Eine Ausdehnung auf das ganze Bundesgebiet wäre aber wünschenswert. Ich habe keine Ahnung ob das realistisch wäre, aber in einer perfekten Chor-Welt gäbe es sicher eine kritisch überarbeitete Version dieses Formates unter neuem Titel, das durch die Kooperation aller öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, der Chorverbände und des Musikrates bundesweit organisiert würde. Das wär doch mal was!

Moderatoren + Jury (v.l.n.r.): Marco Schreyl, Sabine Heinrich, Giovanni Zarrella, Beatrice Egli, Jane Comerford und Rolf Schmitz-Malburg

>> Website Jan-Hendrik Herrmann