Anna-Maria Hefele: Obertongesang

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Anna-Maria Hefele rückte mit einem YouTube-Video die Obertongesangstechnik ins Rampenlicht. Wie es dazu kam und was Chöre von dieser speziellen Technik lernen können

Anna-Maria, wie bist du zum Obertongesang gekommen? Ich habe immer schon gesungen: ganz früh im Kinderchor, später im Kirchenchor – insofern war Singen etwas ganz Normales, „was man eh immer macht“. Auf den Obertongesang bin ich 2005 durch eine Radiosendung über den Obertonkreis Chiemsee und Hartmut von Voigt aufmerksam geworden, der damals in unserer Nachbarschaft wohnte. So konnte ich ihn einfach fragen, ob er mir das Obertonsingen mal zeigt, und habe dann angefangen, mich damit zu beschäftigen.

Wie lange hat es gedauert, das zu lernen? Bis ich die Technik einigermaßen beherrscht habe, hat es ungefähr drei Jahre gedauert. Erst viel später habe ich noch eine klassische Stimmausbildung absolviert, die dann auch für meinen Obertongesang noch viel Qualität brachte.

Was war für dich so faszinierend am Obertongesang? Warum bist du dabeigeblieben? Wahrscheinlich, weil es so speziell ist. Und auch so unbekannt.

Gibt es da so etwas wie eine eigene „Szene“? Ja, schon – aber sie ist relativ klein. Im deutschsprachigen Raum gibt es vielleicht etwa 100 Obertonsänger.

Und wo begegnet man einander? Gibt es Kurse oder Festivals? Gerade im August gab es ein kleines Oberton-Festival im Pankratium in Gmund in Karnten mit Workshops und Konzerten.

Und wenn ich nach einem Konzert Feuer und Flamme bin: Wo kann ich Obertongesang erlernen? Obertongesang wird derzeit weder an Musikschulen noch an Hochschulen regulär unterrichtet, höchstens mal im Rahmen eines Gastkurses. Interessierte müssen sich ihre Lehrer ganz gezielt suchen und gegebenenfalls auch weite Anreisen in Kauf nehmen. Ich hatte schon Privatschüler aus Kopenhagen, New York und Südkorea.

Gibt es Bestrebungen, an dieser Situation etwas zu ändern, den Obertongesang zum Beispiel an Musikhochschulen zu etablieren? Die gibt es durchaus. Mein Video „polyphonic overtone singing“, das auf YouTube mittlerweile über zehn Millionen Klicks erreicht hat, ist ein Teil der Bemühungen, den Obertongesang ins Bewusstsein zu rücken und zu zeigen, was mit dieser Gesangstechnik möglich ist. Bisher war es ja so: Entweder die Leute haben noch nie davon gehört, dann erklärst du eine Stunde lang, worum es dabei geht. Oder sie haben schon davon gehört, halten es aber für esoterischen Quatsch, dann erklärt man zwei Stunden lang, dass man durchaus mehr damit machen kann. Um diese Erklärungen etwas abzukürzen, wollte ich im Video demonstrieren, dass es nicht nur um Monochorde, Meditation und Klangschalenmusik geht.

Wenn man „Anna-Maria Hefele“ sagt, fällt vielen Gesprächspartnern dein Auftritt bei Stefan Raab ein – wie kam es dazu? Das war eine Folge des besagten Videos, das ja in ganz kurzer Zeit fünf Millionen Klicks hatte: Daraufhin hat quasi die ganze Welt angerufen, unter anderem die Stefan-Raab-Redaktion, aber auch andere Fernsehsendungen und Talkshows. Der Auftritt bei Stefan Raab war also einer von mehreren – das war eine völlig verrückte Zeit!

Wie muss man sich deine Konzerte vorstellen? Konzertierst du solistisch oder im Ensemble? Das ist ganz unterschiedlich: Aktuell singe ich, neben meinem Solo- Programm, im Duo The Lady and the Cat mit Jan Henning an der Bariton-Bassgitarre und im Quintett Supersonus – dort kombinieren wir Obertongesang mit obertonreichen Instrumenten wie Cembalo, Maultrommel, diatonischer Zither und chromatischer Nyckelharpa. Das ergibt eine ganz eigene Klangfarbe, in der wir sowohl eigene Kompositionen aufführen als auch Alte Musik und traditionelle Melodien in speziellen Arrangements.

Wie kommt das bei Konzertveranstaltern an? Das ist wohl ähnlich wie bei anderer Musik auch: Manche Veranstalter finden es super und wollen es haben – und andere halt nicht.

Welche Ziele hast du bei deinen Workshops? Ich glaube, wenn es mir gelingt, die Leute neugierig zu machen und ihnen einen Einblick zu verschaffen in die Klänge, die Technik – das ist schon gut! Das funktioniert bei kleineren Gruppen natürlich besser als bei größeren. Für meine Workshops bei Chören oder an Musikhochschulen achte ich sehr darauf, dass die Gruppen aus höchstens 20 Personen bestehen. Wenn man dann ein paar Tage Zeit hat, geht da schon einiges!

Wie sieht deine Arbeit mit Chören aus? Bei Chören sind die Ziele natürlich weniger auf die Aufführung von Obertongesängen ausgerichtet, aber die Beschäftigung damit schult das Horen ganz ungemein – und das ist natürlich für jeden Chor super! Wenn man anfängt, die Obertone in der eigenen Stimme wahrzunehmen, kriegt man ein viel feineres Bewusstsein für die unterschiedlichen Vokalfarben. Im Choralltag unterscheidet man unterhalb der sprachlichen Ebene der Vokale „a-e-i-o-u-a-o-u“ vielleicht noch zwischen „jetzt etwas heller“ und „hier etwas dunkler färben“. Wenn man nun aber die Obertöne bewusst hört, die durch bestimmte Vokalfärbungen deutlicher zutage treten als ihre „Nachbarn“, dann lassen sich diese Färbungen auch viel präziser formulieren, indem man zum Beispiel sagt: „An dieser Stelle bitte den zehnten Harmonischen!“. So können sich die Sanger einer Stimmgruppe viel besser, viel feiner aneinander anpassen und dadurch einen homogeneren Klang erzeugen. Nebenbei hat die bewusste „Einstellung“ der Vokalfarben auf der Basis von Obertonen sehr positive Effekte auf die Intonation.

Gibt es denn ausgesprochene Obertonchöre? Ja, das gibt es auch – beispielsweise Spektrum aus Prag. Ein ganz offenes Chorprojekt ist der „European Overtone Choir“, der veranstaltet zweimal im Jahr eine Chorprojektwoche mit einer Kombination aus Oberton- und „normalem“ Gesang. Aber es gibt nicht so wahnsinnig viele Obertonchöre.

Wenn Du 20 oder 25 Jahre in die Zukunft blickst, was glaubst du: Wird Obertongesang bekannter und weiterverbreitet sein als heute oder wird es eine Nische bleiben? Ich gehe natürlich davon aus, dass es immer bekannter und weiter verbreitet sein wird: Ich komme ja schließlich auf die Festivals und gehe zu all den Tagungen, ich gebe Workshops und schaue, dass der Funke der Begeisterung bei möglichst vielen Menschen überspringt!

 

Anna-Maria Hefele ist Stimmkünstlerin und Sängerin. Bekannt ist sie seit über zehn Jahren vor allem durch ihren Obertongesang, einer Stimmtechnik, die aus dem Klangspektrum der Stimme einzelne Obertöne so herausfiltert, dass der Höreindruck einer Mehrstimmigkeit entsteht. In ihren Workshops kann man sich dem Obertongesang und dessen Anwendungsmöglichkeiten nähern.

www.anna-maria-hefele.com
Fotografin: Anna S. Foto

Artikel von Nina Ruckhaber für die Chorzeit, Ausgabe 9 / 2017