CD-Rezension ONAIR: Vocal Legends

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Wenn die derzeit innovativste und stärkste Pop-A-Cappella-Gruppe Deutschlands eine neue CD auf den Markt bringt, liegt die Latte natürlich hoch. Mit „Vocal Legends“ legt das Berliner Quintett ONAIR eine EP vor, die Arrangements einiger legendärer Songs von Ikonen der Popmusikgeschichte präsentiert.

Obwohl Stefan Flügel die Band als Sänger verlassen hat, ist er auf der neuen CD als Arrangeur sehr präsent: Drei der sechs Songs hat er in ONAIR-typischer Qualität bearbeitet, zum Teil geradezu neu erfunden. Das betrifft insbesondere sein Arrangement von Michael Jacksons „Earth Song“, dem er in den ersten Strophen eine polyphone Begleitung in bester Barock-Tradition verpasst: Grammy-verdächtig! Da kommen Erinnerungen an „Wetten Dass“ aus dem Jahr 1995 hoch, als Michael Jackson einen unvergessenen Auftritt ablieferte.

Die übrigen Songs sind da schon etwas konventioneller arrangiert, das aber durchweg auf hohem Niveau! Depeche Mode‘s „Enjoy the Silence“ beginnt minimalistisch, ehe der massive, ziemlich Beatbox-dominierte ONAIR-Sound einsetzt – das steht den perfektionistischen Klangwelten des Originals in nichts nach.

„Nothing Compares 2 U“ von Prince ist in der Version von Sinnéad O’Connor legendär geworden. Das ONAIR-Arrangement kommt nach solidem, erfreulich Ensemble-betontem Verlauf zum Ende hin mit rhythmischen Verschiebungen daher, an denen der Mann aus Minneapolis sicher seine helle Freude gehabt hätte. Jennifer Kothe und Patrick Oliver ergänzen sich mit ihrem leidenschaftlichen Gesang im Duo hervorragend, eine wahre Traumbesetzung.

Whitney Houston hatte mit „I Have Nothing“ einen veritablen Hit, die Autoren David Foster und Linda Thompson gar eine Oscar-Nominierung. Sänger und Beatboxer Patrick Oliver stellt sein Arrangement ganz in den Dienst der Solistin – übrigens wundervoll von Marta Helmin gesungen – und bleibt bei Tonart, Charakter und Spannungsbogen des Originals. Das ist einerseits großes Kino, was es ja schon in „Bodyguard“ war, andererseits doch auch konventionell gedacht und eher schlicht Onair-untypisch angelegt.

Linkin Park‘s „Numb“ kommt da in André Bachmanns Arrangement schon deutlich aufregender und origineller daher: Die ganze dynamische Bandbreite nutzend kontrastiert das Quintett zerbrechlich-sphärische Töne mit druckvollem Fortissimo. Bachmann zeigt sich hier als Leadsänger – in meinen Ohren die ausdrucksstärkste und authentischste Solostimme der Gruppe.

Phil Collins schrieb „Father to Son“ für das Erfolgsalbum „… But Seriously“. Stefan Flügel hat seinem früheren Ensemble dazu einen zweigeteilten Satz geschrieben: Nach ganz klassischem homophonen Beginn setzt zur vierten Strophe mit Beatbox und weiter Lage der moderne A-Cappella-Sound ein.

Für die Aufnahmen hat sich Bandmitglied Patrick Oliver, der auch das Editing erledigt hat, die Unterstützung von Lukas Teske von Maybebop und Joachim Rust, ehemals Str8voices, geholt. Den Sound der EP verantwortet kein Geringerer als Bill Hare, der „Vocal Legends“ gemixt und gemastert hat; ein wunderbarer, kristallklarer und transparenter Bill-Hare-Sound, so kompakt er auch ist!

Alles in allem ist „Vocal Legends“ ein reifes, im besten Sinne professionelles Album: ONAIR liefert A-Cappella-Musik auf internationalem Niveau, wie sie es auch schon mit Illuminate getan haben. Die Umsetzung der neuen Arrangements im Konzert lässt übrigens kaum zu Wünschen übrig; ONAIR ist ein sehr starker Live-Act, die Shows sind gut konzipiert, das Ensemble kommt sympathisch rüber – was will man mehr?

Ensembleklang: 5 von 5 Sterne
Interpretation: 5 von 5 Sterne
Repertoirewert: 4 von 5 Sterne

Heart of Berlin (Universal Music), 24:17 min
www.onaironline.de

>> Rezension von Nina Ruckhaber, gedruckt in einer gekürzten Fassung in der Chorzeit – das Vokalmagazin (10/2018)